Svenia Busson: Alles kann sich ändern!
EdTech Austria hat sich mit Svenia Busson, globale Bildungsforscherin und Unternehmerin, getroffen. Svenia ist die Mitbegründerin von EdTech France und der European EdTech Alliance. Wir sprachen über das europäische EdTech-Ökosystem, seine innovativsten Formate und die Rolle, die Gründerinnen darin spielen.
Ohne welches Start-up können wir im Jahr 2050 nicht leben?
Das werden Technologien sein, die den Einzelnen befähigen, seine Stärken und seinen persönlichen Weg zu finden. Die sie befähigen, das zu werden, was sie wollen und die Dinge zu tun, die sie tun wollen. Eine Art Ermöglicher der Growth-Mindset Bewegung. Ein Growth-Mindset zu haben bedeutet, dass man daran glaubt, dass grundlegende Fähigkeiten durch Arbeit, Hingabe und Ausdauer entwickelt werden können, was wiederum die Leistung und das Wissen verbessern kann. Fähgkeiten sind also nicht angeboren.
Wie wirkt sich das auf die Bildung aus?
In den meisten Bildungssystemen mangelt es daran, dieses Growth-Mindset mit Leben zu füllen und den Kindern beizubringen, es zu entwickeln. Es geht dabei nicht um Technologie. Es geht darum, was wir mit Technologie machen. Ein Growth-Mindset ist eines der wichtigsten Aspekte der Entwicklung. Kinder mit einem Growth-Mindset sind in der Schule erfolgreicher und fühlen sich wohler mit sich selbst. Vieles hängt also von der Einstellung ab, die man im Leben hat, nicht nur in der Schule. Jede:r sollte ein Growth-Mindset entwickeln.
Trägt das Mindset dazu bei, dass es Frauen schwerer haben als Männer, erfolgreich zu sein? Warum ist es deiner Meinung nach für Frauen schwieriger?
Die Daten auf OECD-Ebene zeigen, dass Jungen eher ein Growth-Mindset haben als Mädchen. Der Unterschied ist nicht signifikant, aber es ist ein Unterschied. Wir müssen den Mädchen beibringen, selbstbewusster zu sein, an sich selbst zu glauben und an ihre Stärken zu glauben. Wir sind voreingenommen in der Erziehung von Jungen und Mädchen. Wir sind uns des Unterschieds in der Erziehung nicht bewusst. Es gibt aber dieses intrinsische Verhalten, es ist völlig unbewusst. Auch die Schule spielt dabei eine große Rolle.
Was bedeutet Empowerment von Frauen für dich?
Zugang zu gleichen Chancen und die Kraft der Frauen zu sehen! Jahrelang haben wir diese Kraft nicht gesehen. Wir haben sie nicht anerkannt. Sie sind genauso brillant und fähig wie Männer. Das wissen wir jetzt, aber wir müssen auch anerkennen, dass wir einige Vorurteile haben. Wir müssen mit diesen Vorurteilen vorsichtig umgehen. Das ist der Schlüssel, besonders in Unternehmen und im Unternehmertum!
Frauen bringen weniger Geld auf. Warum ist es für sie schwieriger?
Ich habe eine Reihe von Risikokapitalgeber:innen im Bereich Bildungstechnologie gefragt, wie viele Frauen sie im Vergleich zu Männern finanzieren. Ich habe eine kleine Analyse dazu gemacht und einen Artikel geschrieben, der auf LinkedIn zu finden ist.
Bei meiner Recherche habe ich gesehen, dass Frauen ihr Start-up anders anpreisen als Männer. Männer haben Durchsetzungsvermögen, sie sind selbstbewusst. Eine weibliche CEO spricht beim Pitch nie über sich selbst, sondern nur über ihr Team. Sie hat beispielsweise in Harvard studiert und vorher zwei Start-ups gegründet. Sie ist knallhart, aber sie redet nur über ihr Team. Ich frage diese CEOs: „Kannst du über dich selbst sprechen?“ Aber für sie ist es schwer, sich selbst hervorzuheben. Wir haben eine ganze Sitzung, einen ganzen Monat, während dem Female Fellowship zum Thema Personal Branding. Und alle Teilnehmerinnen sagen, dass es Frauen so schwerfällt, sich selbst darzustellen. Für sie ist es Angeberei. Und für Männer ist das völlig normal. Frauen reden gerne über ihre Unternehmen, aber wenn es um sie selbst geht, fühlen sie sich oft unwohl.
Können wir die Strukturen in der Gesellschaft ändern, die zu den spezifischen Denkweisen von Männern und Frauen führen?
Man kann alles ändern. Auf jeden Fall! Aber es braucht Zeit – Generationen um Generationen. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass Frauen und Männer nicht die gleiche Biologie haben – wir sind nicht von Natur aus gleich. Ich glaube, die meisten Menschen sind sich des wesentlichen Unterschieds zwischen Männern und Frauen nicht bewusst. Sie haben keine starken Hormonschwankungen, sie gebären keine Kinder, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Ich glaube an Maßnahmen wie die Gleichstellungspolitik, z. B. eine Mindestanzahl von Frauen in Aufsichtsräten.
Du hast die EdTech Alliance (EEA) mitbegründet, wo siehst du sie in 10 bis 20 Jahren?
Ich hoffe, dass wir die europäische Anlaufstelle für jede neue Politik auf europäischer Ebene und als Vertreter der Branche Teil des Entscheidungsprozesses werden.
Und auf der Seite der Start-ups möchte ich, dass wir zu einem Beschleuniger für Talente und Unternehmen werden, der eine Brücke zwischen verschiedenen Welten schlägt. Wir müssen dafür sorgen, dass Startups den europäischen Markt als einen Markt sehen können und ihnen den Markteintritt von einem Land zum anderen erleichtern. Wir beschleunigen ihr Wachstum und tragen dazu bei, in ganz Europa groß zu werden. Wir haben solche großen Unternehmen noch nicht. Da können wir noch viel mehr tun. Wir haben so viele erstaunliche Talente, was die Pädagogik in Europa betrifft. Nirgendwo sonst auf der Welt haben wir eine solche Brillanz, wenn es darum geht, wie gutes Lernen gemacht wird. Wenn es uns gelingt, diese erstaunliche Unternehmen aufzubauen, können die weltweit exportieren. Wir würden uns freuen, wenn die European EdTech Alliance in zehn Jahren zumindest für einen Teil dieser Erfolge verantwortlich wäre.
Wir bilden Menschen aus, damit sie ein Teil eines Landes und seiner Gesellschaft werden. In jedem Land gibt es Unterschiede in der Kultur. Wie können wir mit diesen Unterschieden in einem Bündnis wie der EEA umgehen?
Die Vielfalt Europas ist reich. Das sollten wir schätzen, denn wir können viel voneinander lernen. Aber wir sollten auch die Interoperabilität erleichtern. So sollten wir zum Beispiel ein europäisches Vergabeverfahren einführen, damit es für Start-ups einfacher ist, an eine Schule in Österreich und an eine Schule in Frankreich zu verkaufen.
Der Umgang mit der Vielfalt ist schwieriger, aber auf lange Sicht erfolgreicher.
Als du mit den EdTech-Tours um die Welt gereist bist, hast du einen Einblick in innovative Bildungsformate gewinnen können. Gibt es einen gemeinsamen Nenner?
Die Gemeinsamkeit besteht darin, dass der Lernende an erster Stelle steht und dass man darüber nachdenkt, wie Menschen lernen und was effizient ist. EdTech Unternehmen nutzen die Erkenntnisse der Forschung aus der kognitiven Neurowissenschaft. Wir lernen nicht passiv. Wir lernen nicht, wenn wir 8 Stunden am Tag sitzen. Wir lernen effizient, wenn wir uns bewegen. Wenn wir aktiv am Lernen beteiligt sind. Wenn wir die Verantwortung für unser Lernen übernehmen. Wenn wir die richtige Einstellung haben. In all diesen großartigen Initiativen wurden diese Aspekte berücksichtigt.
Wie ich in meinem Buch Exploring the Future of Education geschrieben habe, sind wir Europäer:innen Pioniere, was das Verständnis des menschlichen und des lernenden Gehirns angeht. Obwohl natürlich Forscher:innen aus der ganzen Welt kommen, waren die Europäer:innen die ersten, die die Forschungsergebnisse in unseren Schulen einführten, insbesondere in den nördlichen Ländern. Sie sind Vorreiter bei der Integration der neuen pädagogischen Instrumente, Techniken und Methoden in das Schulsystem und machen sie für alle zugänglich.
Trotzdem erleben EdTechs in Europa eine Kultur des Widerstands gegen die Einführung neuer Technologien. Warum ist das so?
Das ist richtig. EdTech ist in den US-Schulen viel präsenter. Dort gibt es keinen Widerstand gegen technologische Veränderungen wie bei uns. Es ist für EdTechs viel einfacher, Technologie in Schulen zu integrieren. Alle Schulbezirke verfügen über ein Budget für EdTech. Sie sind also viel weiter fortgeschritten. Europa ist anders, denn wir mögen Veränderungen nicht. Aber EdTech ist mehr als nur Technologie, es geht auch um Pädagogik und darum, wie wir besser lehren und lernen können. Es geht darum, wie wir die Art und Weise verändern können, wie Dinge im Klassenzimmer ablaufen. Wie Menschen im Allgemeinen lernen, und wie die Technologie dabei helfen kann.
Um mit einem positiven Blick in die Zukunft abzuschließen: Was sind deine Ziele für die nächsten 5 Jahre?
Ich würde gerne meine Arbeit im Bildungsbereich fortsetzen und diese Ideen, die mich bewegen, an ein größeres Publikum weitergeben. Ich möchte dazu beitragen, dass sich die europäische Landschaft verändert, dass sie sich weiterentwickelt und dass sie zu einem fruchtbaren Boden für Start-ups wird. Ich fühle mich nicht französisch oder deutsch, ich fühle mich europäisch. Ich möchte, dass die Menschen das Gefühl haben, dass Europa erstaunliche Dinge für unser Bildungssystem tun kann, dass sich die Dinge weiterentwickeln werden. In den nächsten fünf Jahren habe ich viel Arbeit vor mir.
Svenia, vielen Dank, dass du dir Zeit genommen hast!
Danke, es war wirklich schön, mit dir zu sprechen!
Über Svenia
Svenia Busson ist eine in Paris geborene deutsch-französische Bildungsforscherin und Unternehmerin. Während ihres Studiums gründete sie zusammen mit einem Freund den Think-Tank ‚Edtech Tours‚. Danach baute sie ihr erstes Unternehmen auf, einen Start-up-Accelerator, der sich in eine Beratungsfirma für Schulen und Universitäten namens learnspace verwandelte. Svenia baute das erste Netzwerk für Bildungsunternehmer:innen in Frankreich auf, EdTech France. Es folgte die European EdTech Alliance, ein Konsortium nationaler Handels- und Industrieverbände. Die European EdTech Alliance vertritt 26 verschiedene Organisationen wie EdTech France, EdTech Austria und andere. Innerhalb der Allianz leitet sie ein Stipendium für Gründerinnen. Die zweite Ausgabe von Svenias Buch „Exploring the Future of Education“ wurde 2021 veröffentlicht. Das Buch behandelt Best Practices und Top-Bildungsinnovationen aus ganz Europa.
Tipp: Hört euch Svenias Podcast an, der Impact-Investing-Strategien für Unternehmer:innen aufdeckt: Impact 10x.
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