Südkorea: Wie Technologie, Kultur und Mut zur Innovation Bildung prägen

Fünf Tage, unzählige Eindrücke und eine zentrale Erkenntnis: Bildung in Südkorea ist mehr als Technologie – sie ist Ausdruck einer gesellschaftlichen Haltung. Unsere Lernreise nach Seoul hat uns nicht nur gezeigt, wie ein Land seine Bildung konsequent digitalisiert, sondern auch, was Österreich daraus lernen kann.
„Koreaner:innen wollen immer Erster sein. Ihr Motto ist: ppalli, ppalli – schnell, schnell“, erklärt Professor Michael Prieler von der Hallym University. Und das spürt man auch im Bildungssystem. Bereits ab der 3. Volksschulklasse sind Tablets, digitale Tafeln und Lern-Apps Standard. Seit Kurzem kommen KI-gestützte Schulbücher in mehreren Fächern landesweit zum Einsatz – in der Volksschule ebenso wie in der Highschool.
Was bei uns oft als Vision gilt, ist in Südkorea gelebte Praxis. Diese flächendeckende Integration gelingt, weil Technik nicht als Zusatz, sondern als selbstverständlicher Teil des Unterrichts verstanden wird – getragen von einer Kultur, die Innovation als Wert begreift.
Digitalisierung braucht Haltung – und Politik
Die Digitalisierung des südkoreanischen Bildungssystems ist kein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis einer konsequenten, staatlich gesteuerten Strategie, die seit den 1990er-Jahren verfolgt wird. Der Staat investiert gezielt in Infrastruktur, entwickelt Pilotprojekte und schafft bewusst Räume für Innovation – inklusive der Möglichkeit, Fehler zu machen und daraus zu lernen. Ein zentrales Element ist die Qualifizierung der Lehrkräfte: Mit dem Konzept der „Master-Teacher“ werden besonders geschulte Pädagog:innen eingesetzt, die ihre Kolleg:innen im Umgang mit digitalen Medien und neuen Technologien fortbilden und begleiten. So entsteht ein Multiplikatoreffekt, der digitalen Wandel von innen heraus vorantreibt.
Auch in Österreich gibt es viele engagierte Pädagog:innen, die mit großem Einsatz digitale Lernformen erproben. Was jedoch oft fehlt, ist der systemische Rahmen, der diese Energie bündelt, unterstützt und nachhaltig verankert.

Lernen lernen – mit und ohne Technik
Besonders beeindruckt hat uns, wie in Korea das „Lernen des Lernens“ vermittelt wird. Selbststeuerung, Reflexion und Strategien zur Wissensaneignung sind dort fest im Curriculum verankert. Das macht den Einsatz von digitalen Tools nicht nur effektiver, es befähigt Schüler:innen auch, sich in einer komplexen Welt zurechtzufinden.
Gerade in einer zunehmend technologiegetriebenen Gesellschaft braucht es Menschen, die nicht nur konsumieren, sondern bewusst und eigenverantwortlich lernen – ein Ziel, das auch für Österreich zentral ist.

Zwischen Leistung und Belastung: ein Bildungssystem mit Schattenseiten
So fortschrittlich und technologieoffen das südkoreanische Bildungssystem auch ist – es hat auch seine Kehrseiten. Ein zentrales Thema ist die zunehmende digitale Abhängigkeit, insbesondere von Smartphones. An Schulen wie der Naegok Middle School begegnet man dem Problem pragmatisch: Mit physischen Boxen, in denen Schüler:innen ihre Geräte für festgelegte Zeiträume abgeben müssen, wird bewusst Raum für konzentriertes Lernen geschaffen.
Gleichzeitig sorgt der enorme Leistungsdruck im koreanischen Schulsystem für wachsende psychische Belastung. Nachhilfe bis spät in die Nacht, ein stark wettbewerbsorientiertes Umfeld und der enge Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und familiärem Ansehen fordern ihren Tribut – bei Jugendlichen wie bei ihren Familien. Die hohen Bildungskosten tragen zudem zur niedrigen Geburtenrate bei.
Doch es gibt auch positive Entwicklungen: Mit Programmen wie den „WEE“-Klassenzimmern wird emotionale Bildung aktiv gefördert (Anm.: WEE setzt sich zusammen aus We + Education + Emotion). Mentale Gesundheit wird zunehmend als Teil eines ganzheitlichen Bildungssystems verstanden – ein Ansatz, der auch für Österreich wichtige Impulse geben kann.

Berufsbildung neu gedacht: Die „Meister-Schulen“
In Südkorea besuchen Schüler:innen spezielle Schulen, die gezielt auf digitale Berufe wie Frontend- oder XR-Entwicklung vorbereiten. Diese sogenannten „Meister-Schulen“ – ein Begriff, der aus dem Deutschen übernommen wurde – richten sich an 16- bis 18-Jährige und bieten eine staatlich geförderte, praxisnahe Ausbildung. Die Lehrpläne entstehen in enger Zusammenarbeit mit Unternehmen, unterrichtet wird oft von Fachkräften aus der Wirtschaft. Klassische duale Lehre gibt es nicht, dafür kurze Praktika und einen starken Fokus auf technologische Zukunftsberufe.
Während Österreich mit seinem bewährten Lehrlingssystem hervorsticht, zeigt Südkorea, wie moderne Berufsbilder digital, flexibel und arbeitsmarktnah in die Ausbildung integriert werden können.

Digitale Transformation als Gemeinschaftsprojekt
Der Besuch bei koreanischen EdTech-Unternehmen (TekVille Education, i-Scream Media, Visang Education, Ubion, I Hate Flying Bugs) hat uns gezeigt, was möglich ist: KI-basierte Lernplattformen, Learning Analytics, immersive Lernmethoden mit VR, AR und sogar Hologramm-Dozent:innen sind Realität.
Aber auch hier gilt: Technologie muss pädagogisch sinnvoll eingebettet werden. Ein rein behavioristisches Lernverständnis reicht nicht aus – Kreativität, Kooperation und kritisches Denken sind entscheidend.

Inspirationen aus Südkorea für Österreich
Die Reise nach Seoul war inspirierend, horizonterweiternd – und auch ein bisschen herausfordernd. Neben der beeindruckenden Dynamik des südkoreanischen Bildungssystems hat uns besonders die große Herzlichkeit unserer Gastgeber:innen berührt. Dank Schulen wie der Naegok Middle School und der Mirim Meister School konnten wir hautnah erleben, wie moderne Bildung in der Praxis funktioniert – inklusive gemeinsamer Mittagessen in der Schulkantine.
Die Einblicke zeigten deutlich: Südkorea nutzt Technologie nicht als Selbstzweck, sondern als Werkzeug, um Lernen gezielt zu verbessern. Dabei steht der Mensch immer im Mittelpunkt. Zukunftsfähige Bildung entsteht dort, wo Technik klug eingesetzt, Lehrkräfte gestärkt und Innovation gefördert wird.
Unsere zentralen Learnings:
- Technologie braucht Haltung und System.
Nur sinnvoll eingebettet kann sie Bildung wirklich verändern. - Lehrkräfte müssen befähigt, nicht überfordert werden.
- Innovation erfordert Mut, Raum und Fehlerkultur.
- Hybrides Lernen ist der Weg nach vorn.
Nicht alles muss digital sein – aber ohne digitale Tools geht es nicht mehr. - Beziehung zählt.
Bildung lebt von Offenheit, Austausch und gegenseitigem Respekt.
Unser Fazit:
Was es jetzt braucht, ist mehr als technischer Fortschritt – nämlich ein gemeinsames Bekenntnis zu moderner Bildung. In Österreich wollen wir ein System mitgestalten, das Talente fördert, Lehrende stärkt und Lernende auf die Zukunft vorbereitet.
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